Aus Dresdner Anzeiger vom 11. Dezember 1929

Die größte Blechbalkenbrücke Europas - ersteht als siebente Elbbrücke in Dresden

Die Einbringung der Eisenträger auf der Neustädter SeiteNur wenige Fachleute wissen, daß zurzeit innerhalb Dresdens die größte Blechbalkenbrücke Europas gebaut wird. Viele Dresdner aber, die diese Zeilen lesen, werden vielleicht verwundert den Kopf schütteln oder ob der amerikanisch anmutenden Mitteilung mit zweifelndem Achselzucken lächeln.

Nun, der Bau dieses technischen Wunderwerkes, der siebenten Brücke in Dresden über den Elbstrom, ist schon ziemlich weit vorgeschritten, ohne daß die Bevölkerung viel davon gemerkt hätte. Ein Mineralöllager an der Hamburger Straße beim Flügelweg in Dresden-Friedrichstadt in der Nähe von Cotta, ferner Schuppen und Bretterzäune entziehen die Bauarbeiten den neugierigen Blicken. Wer allerdings den Flügelweg elbwärts geht, der erblickt allerlei interessante Einzelheiten von dem Bau der Brücke, die in kühnem Bogen bald die Verbindung zwischen den südlich und nördlich der Elbe gelegenen Stadtteilen des Dresdner Westens herstellen wird.

Wem es vergönnt ist, das Baugelände am Flügelweg zu betreten und die Holzbaracke der Bauleitung die Baupläne einzusehen, dem fällt an der Wand eine große Skizze mit der Überschrift Pont-Route sur l’Elbe au cours du Flügelweg auf. Dieser "plan de situation" hat eine "échelle" von 1:10 000 und weist alle zum Verständnis dieses Brückenbaues erforderlichen Einzelheiten in französischer Bezeichnung auf. So wird einem mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt, daß die Elbe durch das Versailler Diktat ein internationaler Strom geworden ist, und man erfährt außerdem, daß die Skizze auf Grund der Elbschiffahrtsakte in 14 Ausfertigungen an die Interalliierte Schiffahrtskommission vor dem Baubeginn eingesandt werden mußte. Fehlte nur noch, daß ein Einspruch eines der Feindbundstaaten erhoben worden wäre!

Dem Bau der neuen Dresdner Elbbrücke war von Anbeginn bis jetzt ein Idealwetter beschieden und zumal der anhaltend niedrige Wasserstand hat die Errichtung der fünf Pfeiler hervorragend begünstigt. Am 3. Mai kamen die ersten Ladungen mit Gerüstteilen auf dem Baugelände an, Mitte November standen die Betonpfeiler – zwei auf Altstädter und drei Neustädter Seite – fix und fertig da. Der niedrige Elbwasserstand hat vor allem die Errichtung der beiden Pfeiler am Flusse gefördert, die zwischen eisernen Larssenspundwänden acht Meter unter Niedrigwasserspiegel auf dem Pläner gegründet wurden und sieben Meter über dem Gelände emporragen. Zwischen diesen beiden Uferpfeilern klafft ein Abstand von 115 Meter, der von der Eisenkonstruktion der Brücke überspannt werden wird; Es wird also kein Pfeiler im Strom selbst stehen.

Nachdem die Beton"periode" der Flügelwegbrücke überwunden ist, ist nun seit einigen Tagen die "Eisenzeit" angebrochen. Mit der Eisenbahn werden auf den Anschlußgleisen der Reichsbahn am Flügelweg die gewaltigen Eisenträger herangebracht; überall sieht man auf den Gleisen im Alberthafen Güterwagen mit den leuchtend roten Eisenteilen für die Brücke stehen. Ein hoher Schwenkkran packt die 12 bis 15 Tonnen schweren Eisenträger und verlädt sie auf die festen, gedrungenen Bahnmeisterwagen, die dann mit einem um eine Winde laufenden Seile langsam zum Elbufer hinabgelassen werden. Dort liegt auf dem Strome ein aus zwei Elbkähnen bestehender Trajekt; auf ihm werden die Eisenlasten gelagert und ein Motorboot bugsiert den beladenen Trajekt zum Neustädter Ufer.

Abermals greift hier ein hochragender Schwenkkran nach den Eisenträgern und hebt sie auf das hölzerne Montagegerüst zwischen den Brückenpfeilern; ein auf dem Gerüst stehender fahrbarer Portalkran bringt die Eisenteile an Ort und Stelle und setzt sie auf Wasserdruckpressen, mit deren Hilfe die Stücke auf den Millimeter passend aneinandergefügt werden. Die Eisenteile werden dann zusammengeschraubt und vernietet. Ein großes Stück der so zusammengefügten mennigeroten Eisenkonstruktion leuchtet bereits von Neustädter Ufer herüber. Unser Bild gibt einen guten Begriff von der Anbringung der Eisenteile auf Neustädter Seite. Technisch werden die Eisenträger, die aus hochwertigem Baustahl St. 52 gefertigt sind, Blechbalken genannt.

Ende Januar wird man, wie mir mein Begleiter Regierungsbaurat Koch erläutert, damit beginnen, mit Vorstreckkranen von der Altstädter wie von der Neustädter Seite aus die Eisenträger über dem Strome selbst sich bis zur Vereinigung gewissermaßen entgegenwachsen zu lassen, ohne daß die Schiffahrt irgendwelche Behinderung erleidet. Man hofft, am 15. Mai das letzte Eisenstück in der Mitte einfügen zu können. Daran anschließend wird die Aufbringung der Fahrbahndecke folgen, weiter die Anbringung der Fußwegträger und Auflegen der Eisenbetonplatten auf die Fußwegträger. Diese Arbeiten sollen Ende Juli beendigt sein, so daß bis zur beabsichtigten Inbetriebnahme der Brücke am 1. Oktober 1930 noch zwei Monate für Pflaster- und sonstige Restarbeiten verbleiben.

Innerhalb der Eisenkonstruktion der Brücke – unter der Fahrbahn – werden die Gas- und Wasserrohre, die Starkstromleitungen, die Telephonkabel, vielleicht später auch Heizkanäle, gelegt werden. Die Anlage der Brücke berücksichtigt sogar schon die in sicherlich nicht zu ferner Zeit kommende Schnellbahn Meißen-Dresden-Pirna. Diese Bahn wird innerhalb des Eisenbaues der zuvor auf beiden Seiten verbreiterten Brücke fahren.
Vorläufig ist nicht einmal beabsichtigt, den Straßenbahnbetrieb über die neue Brücke aufzunehmen; bei Eröffnung der Brücke wird eine elf Meter breite Fahrbahn vorhanden sein, außerdem werden zu beiden Seiten 1,6 Meter breite Radfahrwege und außen je ein Fußweg von drei Meter angebracht.
Welchen Farbanstrich die Eisenträger erhalten werden, das ist zurzeit noch nicht entschieden. Bis auf weiteres wird das mennigerote Leuchten der Eisenteile rasch an Umfang zunehmen, und nun werden die Dresdner bei ihren sonntäglichen Spaziergängen auf den Höhen um Dresden bald merken, daß im Westen der Stadt die siebente Brücke Dresdens entsteht.

Querschnitte der Brücke (1. und 2. Ausbau)

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